Vom Kaufhaus zur Bibliothek?
KulturDas gesammelte Wissen der Stadt liegt in diesen Räumen: Verteilt auf zwei Standorte mit begrenztem Platz und ein Depot verfügt die Zentral- und Landesbibliothek über gut 3,5 Millionen Bücher, Tonträger, Medien. Schon lange wird nach einem Ort gesucht, an dem die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands ihr Angebot zusammenführen, besser präsentieren und zugänglich machen kann und die jährlich rund 1,5 Millionen Besucherinnen und Besucher angenehmere Arbeitsbedingungen finden. Der Ort könnte gefunden sein: Im Quartier 207 an der Friedrichstraße, dort, wo bis Ende 2024 die Kaufhauskette Galeries Lafayette residiert.
Unter dem Dach der 1995 gegründeten Stiftung Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) wurden die (West-Berliner) Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) am Blücherplatz und die (Ost-)Berliner Stadtbibliothek (BStB) in Mitte zusammengeführt. Die 1954 eröffnete AGB, errichtet nach Plänen der deutschen und amerikanischen Architekten Fritz Bornemann, Gerhard Jobst, Willy Kreuer und Hartmut Wille, war ein Geschenk der USA für die Berlinerinnen und Berliner, die damit freien Zugang zu Wissen, Literatur und Informationen bekommen sollten, Voraussetzung für eine demokratische Entwicklung. Die Berliner Stadtbibliothek wurde vor über 100 Jahren gegründet und nutzt Räume im Marstallgebäude des ehemaligen Kaiserlichen Schlosses sowie im Ribbeck-Haus. Räume, die nach Einschätzung der ZLB-Geschäftsführung nicht nur zu klein, sondern auch dysfunktional sind.
Nachdem ein Neubauprojekt für die Bibliothek am Rande des Tempelhofer Feldes scheiterte, kommen derzeit Pläne für einen Erweiterungsbau neben der AGB nicht so recht voran. In dieser Situation wurde 2023 bekannt, dass die Kaufhauskette Galeries Lafayette ihren Standort im Quartier 207 in der Friedrichstraße Ende 2024 aufgibt. Die freiwerdenden 35.000 Quadratmeter Nutzfläche würden dem Raumbedarf der Zentral- und Landesbibliothek entsprechen. Volker Heller, Generaldirektor der ZLB, sieht in dem Projekt „eine Jahrhundertchance für Berlin“. „Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin in der Friedrichstraße ist ein richtig guter Vorschlag“, so Heller. „Die Nachnutzung eines existierenden Gebäudes ist nur sinnvoll, wenn es für die Bibliotheksnutzung passt und funktioniert. Das erfüllt Q207 voll und ganz.“
Es wäre vor allem auch eine schnell umsetzbare Lösung. Überlegungen, die ZLB im leerstehenden ICC oder im Tempelhofer Flughafengebäude unterzubringen, haben sich bei genauerer Prüfung als unrealistisch erwiesen. Weder die räumlichen Gegebenheiten noch die Bedingungen für Medienarchivierung wären passend. Anders in der Friedrichstraße, wo die Umsetzbarkeit bestätigt wurde: „Die Berliner Immobilienmanagement GmbH hat die damit entstehenden Fragen in den letzten Monaten geprüft und bestätigt die Eignung und Wirtschaftlichkeit des Ankaufs und der Herrichtung des Quartier 207 für die Zusammenführung der ZLB sowie die Möglichkeit einer schnellen Projektumsetzung“, so die ZLB. „Das Quartier 207 gilt als absehbar einziges verfügbares Angebot, das den Erfordernissen einer solchen Bibliothek entspricht.“
Auch im Q207 passt noch nicht alles, ein Umbau ist allerdings gut machbar. Das Innere des jetzigen Kaufhauses, entworfen vom französischen Architekten Jean Nouvel als Medienhaus, ist von einer gläsernen Außenfassade und im Inneren von zwölf Kegeln und Zylindern aus Glas geprägt, die sich jeweils über mehrere Etagen erstrecken. Grundsteinlegung war am 9. Oktober 1992, Im Herbst 1994 wurde Richtfest gefeiert, das Kaufhaus öffnete am 29. Februar 1996. Die Galeries Lafayette nehmen mit ihren 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. auf fünf Etagen nur einen Teil des Q207 in Beschlag, der Rest ist Bürofläche. Mit anderen Mietern steht der Eigentümer Tishman Speyer in Auflösungsverhandlungen.
Das Gebäude bietet vier Untergeschosse, das Erdgeschoss sowie sieben Obergeschosse. Auf den einzelnen Etagen können kleinere und größere Bereiche abgetrennt werden, Arbeitsplätze für vielfältige Mediennutzung und eine den heutigen Ansprüchen an eine Bibliothek entsprechende Aufteilung geschaffen werden. „Öffentliche Bibliotheken sind für heutige Stadtgesellschaften essentielle Bausteine“, so stellt es die ZLB in einer Pressemitteilung fest. „Europäische Metropolen wie Amsterdam, Birmingham, Aarhus, Helsinki und Oslo haben in den vergangenen Jahren große und architektonisch beeindruckende Zentralbibliotheksneubauten errichtet, und zwar im Herzen der jeweiligen Stadt, exzellent verkehrlich angebunden. Dies bringt zum Ausdruck, wie wichtig diese Gemeinschaftsorte der Begegnung, des lebenslangen Lernens und der gesellschaftlichen Vernetzung sind.“
Am neuen Standort rechnet Volker Heller mit mindestens 3 Millionen Besucher*innen jährlich, was eine deutliche Belebung der Friedrichstraße zur Folge hätte. Auch am Abend und an den Wochenenden wäre geöffnet.
Unterstützt wird das Vorhaben von den bezirklichen Stadtteilbibliotheken, die sich eine Bereicherung versprechen. „Öffentliche Bibliotheken sind starke Mittel gegen Vereinsamung und gesellschaftliche Deprivation, sie wirken der Spaltung entgegen, sie wirken gegen Dummheit und Verblödung, gegen Entdemokratisierung und Populismus, sie schaffen Orte für Bildung, Diskurs und Demokratiekultur“, so Jonas Fansa, Betriebsdirektor und stellvertretender Vorstand der Stiftung ZLB.
Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU), der das Umzugsprojekt angestoßen hat, unterstützt weiter den Erwerb des Quartiers für die ZLB, auch wenn im Haushalt bisher keine Mittel dafür bereitgestellt wurden. Die SPD-Fraktion hat sich bislang zurückhaltend bis skeptisch gezeigt. Dabei müsste ihr die Kommunalisierung des Gebäudes gerade zu diesem Zweck eigentlich sehr sympathisch sein.
Es könnte so schön sein. Berlin könnte eine über hundert Jahre dauernde Suche nach einem Standort für eine Zentral- und Landesbibliothek beenden, könnte einen Ort vielfältiger Mediennutzung und Begegnung schaffen, wie ihn andere große Metropolen bereits besitzen. Ein Gebäude mitten in der Stadt, gut erreichbar, würde eine sinnvolle neue Nutzung erfahren. Und: die sozialdemokratische Idee, Bildung und Wissen einfach und kostenlos für alle zugänglich zu machen, würde ein neues Zuhause finden. So wie es sich wohl auch der sozialdemokratische Verleger Hugo Heimann gewünscht hätte, der 1899 der Stadt eine öffentliche Bibliothek und Lesehalle stiftete.
Unterstützt werden kann das Vorhaben mit einer Unterschriftensammlung: https://www.zlb.de/unterschreiben/
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